China hat Ambitionen: Dieses Jahr wollte China im Mittelpunkt des alle zwei Jahre stattfindenden Kongresses der Transplantation Society (TTS) stehen. Ziel war, die eigene Akzeptanz durch die internationale Transplantationsgemeinschaft zu erreichen. Doch stattdessen gab es weltweite Kritik am undurchsichtigen chinesischen Transplantationssystem.
Diese Stimmen waren so laut wie nie zuvor. Was zunächst nach einem Heimspiel für den Gastgeber aussah, sah sich bald kritischen Blicken der internationalen Presse und der medizinischen Gemeinschaft ausgesetzt.
Als Antwort auf Chinas Selbstlob sagte der Präsident der TTS Dr. Philip J. O‘Connell:
Diese Kontroversen zeigten sich durch mehrere Zwischenfälle. Ursprünglich war der Leberchirurg Dr. Zheng Shusen für einen Vortrag vorgesehen. Die Organisatoren entzogen ihm jedoch die erforderliche Genehmigung und ersetzten seinen Vortrag durch den eines anderen Chirurgen. Trotzdem präsentierte Dr. Seng Shusen seinen Vortrag. Dieser unerhörte Bruch der Satzung des TTS-Kongresses löste eine ungewöhnliche ad-hoc-Stellungnahme des ehemaligen TTS-Präsidenten Prof. Dr. Jeremy Chapman aus:
Ein weiterer für eine medizinische Konferenz unüblicher Zwischenfall ereignete sich am Rande der Konferenz. Eine Film-Crew des Fernsehsenders NTD TV wurde von Sicherheitskräften gehindert, als sie versuchte, den ehemaligen Vizegesundheitsminister Huang Jiefu zu interviewen.
China versuchte den Transplantationskongress für sich zu vereinnahmen, denn in der Vergangenheit bestand der TTS nicht konsequent auf systematischen, unabhängigen und professionellen Untersuchungen. Während internationale Experten und Ärzte seit Jahren vor Missbrauch in Chinas Transplantationssystem warnen, reagierte die Führung der TTS vor dem Kongress auf kritische Fragen in einem offenen Brief nur mit vagen Ausdrücken, wie „wir glauben“ oder „unserem Eindruck nach“. In diesem Brief werden nicht nur mangelnde Kenntnisse über die Beschaffungspraxis von Spenderorganen in China deutlich, sondern auch methodische Mängel bei der Untersuchung dieses zweifelhaften Systems.
Ein Ziel bleibt im Fokus: In Zukunft muss nachgewiesen werden, dass in China keinem Gefangenen Organe entnommen werden – egal, ob es nun hingerichtete Verbrecher oder noch lebende Gefangene aus Gewissensgründen sind. Solange dies nicht der Fall ist, sollte sich die TTS mit bestätigenden Aussagen über Chinas Organbeschaffungsprogramm zurückhalten, zumal sie gleichzeitig suggeriert, dass es ihr nicht obliege, eine umfassende Untersuchung durchzuführen.
Dadurch dass die TTS China bisher nicht an der Einhaltung ethischer Standards gemessen hatte, half sie eine Umgebung zu schaffen, in der die umstrittenen Zwischenfälle geschehen konnten. Tatsächlich kann man niemandem Vorwürfe über nicht durchgeführte Nachforschungen in China machen, da sich China stets einer Prüfung entzogen und unabhängige internationale Untersuchungen nicht zugelassen hatte. Wer jedoch die zugänglichen Daten und umfangreichen Beweise, die in den letzten zehn Jahren zusammengetragen wurden, nicht beachtet, muss sich das sehr wohl vorwerfen lassen.
Während China versichert, dass es seit Januar 2015 keine Organe mehr von Gefangenen verwendet, hat es dennoch hierfür keine Beweise vorgelegt. Obwohl in den letzten zehn Jahren verschiedene Maßnahmen umgesetzt wurden, hat sich die Transparenz im Bereich der Beschaffung der Transplantationsorgane nicht verbessert. Dieser Mangel an Transparenz war auch Gegenstand von Diskussionen in der medizinischen Literatur.
Die Führung der TTS hat wider besseren Wissens ihr Vertrauen auf einen Mann gesetzt, dessen Glaubwürdigkeit fraglich ist: Huang Jiefu. Die Zweifel rühren nicht nur daher, dass er in der Vergangenheit selbst mehr als 500 Lebertransplantationen durchführte, sondern auch, dass ihm jegliche Befugnis fehlt, Reformen durchzuführen. Sämtliche seiner Reformankündigungen waren ausschließlich in zensierten chinesischen Medien zu finden und wurden von Regierungsbeamten oder dem Ministerium nicht aufgegriffen. Seine Ankündigung im Jahr 2014, dass ab Januar 2015 Organe von Gefangenen nicht mehr verwendet werden würden, blieb eine reine Absichtserklärung. Das Gesetz aus dem Jahr 1984, das die Entnahme von Organen hingerichteter Gefangener erlaubt, ist nach wie vor gültig. Nach Recherchen wurden bis heute keine neuen Gesetze verabschiedet, die die Beschaffung von Organen Gefangener verbieten. In einem Interview mit Phoenix TV im März 2015 äußerte sich Huang Jiefu lobend über die chinesischen Behörden der öffentlichen Sicherheit und über das Justizsystem, da deren Kooperation bei der Beschaffung von Organen hingerichteter Gefangener die Transplantationsindustrie in China überhaupt erst möglich gemacht habe. Auch brauche es Vertrauen auf einen stabilen und ergiebigen Nachschub an Organen, um den Neubau von zahlreichen Transplantationszentren inklusive der dazu notwendigen ausgebildeten Ärzte zu planen, wie es Huang in einem Interview im Oktober 2015 darlegte.
China hat ein Ende des Organraubs an nicht verurteilten Gefangenen aus Gewissensgründen weder angekündigt noch bestätigt. Ein chinesischer Beamter beschrieb entsprechende Vorwürfe als „lächerlich“. Allerdings birgt ein kürzlich veröffentlichter investigativer Bericht eine Vielzahl von Beweisen, die sehr nachdenklich stimmen und nach einer ausführlicheren Antwort verlangen.
China brüstet sich mit seinem neuen „China-Organ-Transplantations-Reaktions-System“ (COTRS), einem computerbasierten System zur Allokation von Organen sowie seinem neuen öffentlich zugänglichen Organspendeprogramm. Beide sind umstritten. Während Huang Jiefu betont, dass jede Zahl echt sei und jeder Fall zurückverfolgt werden könne, ist es in Wirklichkeit so, dass jedes Organ, unabhängig davon, wie es beschafft wurde, beim CORTS eingetragen wird, was effektiv dazu führt, dass alle Spuren des Ursprungs des Organs verloren gehen und COTRS somit droht, ein landesweites Vertuschungssystem für alle transplantierten Organe zu werden.
Das Organspendeprogramm ist ein Programm für die professionelle lokale Organspendekoordination. Es bietet den Familien sterbender Patienten finanzielle Anreize in der Höhe eines Jahresgehaltes, damit diese die Organe des Verwandten für Transplantationen freigeben. Eine Präsentation des China-Organ-Donation-Administration-Centers zeigt einen starken Anstieg der Zahl der kooperierenden Familienangehörigen. Die WHO-Richtlinien zur Organtransplantation verbieten jedwede Zahlung für Organe. Ebenso steht in der Erklärung der Istanbul Custodian Group (DICG): „Länder sollen keine Programme etablieren oder erlauben, in denen Geld [für Transplantationsorgane] gezahlt wird.“ Überraschender- und unverständlicherweise bewerten Mitglieder dieser Organisationen China anhand eines chinaspezifischen Doppelstandards: Jose Nunez, ein WHO-Funktionär, der für Organtransplantationen weltweit zuständig ist, wird in Bezug auf China wie folgt zitiert: „Eine Transplantationsreform auf freiwilliger und gemeinschaftlicher Basis zeigt die einzige legitime Quelle für Organspenden post mortem, die mit den Richtlinien des WHO und der Istanbuler Deklaration übereinstimmt.“ Dabei ignoriert er, dass jenes System auf „freiwilliger und gemeinschaftlicher Basis“ für Organspenden post mortem nicht auf freiwilligen Spenden, sondern Vorgehen basiert, die die Prinzipien seiner eigenen Organisation verletzen. Eine ähnliche Diskrepanz betrifft manche Mitglieder der DICG, die China für sein neues Organspendesystem preisen, obwohl dieses doch gegen das ethische Prinzip des DICG verstößt, welches Zahlungen für Organe verbietet.
Auf die Frage, ob noch immer Organe Gewissensgefangener verwendet werden, antworteten chinesische Beamte, dass dies aufgrund eines unkontrollierbaren Schwarzmarktes noch immer passieren könne. Wie aber können Gefangene, die unter ständiger Kontrolle und Überwachung des Staates stehen, Teil eines Schwarzmarktes für Organe sein?
China setzt eifrig eine endlose Zahl von Reformen um, um die internationale Anerkennung zu gewinnen. Doch was fehlt, ist eine bedingungslose Transparenz bei der Organbeschaffung. Dies sollte die internationale medizinische Gemeinschaft fortwährend von China einfordern.