Weißes Hemd und blauer Business-Anzug, unauffällige Krawatte und ordentlicher Haarschnitt, er sieht aus, als ob er Ihnen eine Versicherungspolice oder ein Auto verkaufen könnte. Er sieht ganz sicher nicht so aus, als ob er Millionen von Gläubigen auf der ganzen Welt inspirieren und innerhalb der chinesischen Regierung mörderischen Zorn auslösen könnte.
Jawohl, das ist Li Hongzhi, der charismatische Vater von Falun Gong, einer Quasi-Religion, die er 1992 der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Er ist ein geschätzter Führer für Millionen von Anhängern. Pekings offizielle Reaktion auf seine Lehre bedeutete allerdings für viele eine Tragödie.
Als er zum ersten Mal seine Denkweise offenbarte, war er ein staatlich anerkannter Qigong-Lehrer. Qigong ist ein buddhistisch geprägtes System, das Atmung, Meditation und Körperbewegung lehrt. Die Anhänger glauben, dass es Gesundheit und Spiritualität fördert. Viel von dieser Lehre wird von Li in die eigene Lehre miteinbezogen; diese betont aber auch moralische Werte und die Entwicklung des Charakters. Er konzentriert sich auf drei Grundsätze: Wahrhaftigkeit, Güte und Nachsicht.
Li betont moralischen Werte und die Entwicklung des Charakters
In den frühen 1990er Jahren reiste Li durch China und gab Kurse in Falun Gong für ein Publikum, das sich von einigen Hundert bis zu mehreren Tausend erstreckte. Lis erstes Buch erschien 1993, sein erstes Lehrvideo 1994. Sein Ruf verbreitete sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Bis 1999 schätzte die Regierung die Zahl der Falun-Gong-Übenden auf 70 Millionen.
Das waren schlechte Nachrichten, so die offizielle Meinung. Niemand kann Falun Gong als verräterisch oder gar als politisch umstritten bezeichnen. Als totalitärer Staat betrachtet China aber jede inoffizielle und nicht autorisierte Organisation als Bedrohung. Sie könnte sich als parallele Macht innerhalb des Einparteienstaates entwickeln. Mit ihrem Bekenntnis zur Wahrhaftigkeit könnte sie beginnen, die ungezügelte Korruption im ganzen Land anzuprangern.
So startete Peking 1999 eine Propagandakampagne gegen Falun Gong. Sie schloss den Internetzugang sogar zu Webseiten, die Falun Gong nur erwähnten. Sie prangerte Falun Gong als „ketzerische Organisation" an, als Bedrohung für die soziale Stabilität.
Als diese Maßnahmen fehlschlugen, hat die Regierung Hunderttausende von Falun-Gong-Lernenden inhaftiert und sie zu Zwangsarbeit gezwungen und manchmal auch gefoltert. Menschenrechtsgruppen vermuteten, dass 2.000 Falun-Gong-Übende in Gewahrsam durch Missbrauch getötet wurden.
Peking startete 1999 eine Propagandakampagne gegen Falun Gong
Im Jahr 2006 untersuchten zwei kanadische Menschenrechtsautoren, David Kilgour und David Matas, die weithin für glaubwürdig befundenen Berichte, wonach chinesische Behörden für „groß angelegte Entnahmen von Organen an unfreiwilligen Falun-Gong-Übenden " verantwortlich waren; diese Behörden belieferten den chinesischen Transplantationssektor. China hat diesen Vorwurf konsequent zurückgewiesen. Doch Kilgour und Matas enthüllten unter anderem, dass die Behörden die Quelle von etwa 41.500 Organen, die von chinesischen Chirurgen transplantiert wurden, nicht erklären konnten oder wollten.
Ihr vorläufiger Bericht wurde vom offiziellen China als falsch angeprangert, aber von der Menschenrechtsgemeinschaft gelobt. 2009 veröffentlichten Kilgour und Matas ihre Arbeit in Buchform als Bloody Harvest: The Killing of Falun Gong for their Organs (Seraphim Editions). Das Buch ist sowohl in Russland als auch in China verboten.
Li Hongzhi lebt heute in den Vereinigten Staaten (wohin er 1996 mit seiner Frau und seiner Tochter gezogen ist) und hält regelmäßig Vorträge auf Konferenzen zum Erfahrungs-Austausch für Falun-Gong-Lernende. Im vergangenen Mai sprach er in Brooklyn auf einer Konferenz zu 10.000 Praktikern aus 58 Ländern. Die Anhänger berichteten über Wunderheilungen (wie z.B. Herzbeschwerden), nachdem er gesprochen hatte. Aufrichtige Gedanken, die auf den Prinzipien von Wahrhaftigkeit, Güte und Nachsicht basieren, ließen die Teilnehmer solche Genesungen erfahren.
Die chinesische Regierung hat seit einiger Zeit einen weniger aggressiven Ansatz gegenüber Falun Gong eingeschlagen
Die chinesische Regierung unter Präsident Xi Jinping hat im Gegensatz zu früheren Regierungen Falun Gong in letzter Zeit weniger aggressiv behandelt. Aber diejenigen, die Ideen von Li übernehmen, werden noch immer aufmerksam beobachtet, noch immer verhaftet, noch immer ins Gefängnis gesteckt. Wir wissen das, weil eine Freiwilligenorganisation namens Minghui Daten über neue Gewalttaten sammelt, sie jeden Monat zusammenfasst und diese Zusammenfassungen weltweit in mehreren Sprachen zur Verfügung stellt. Die Inhalte „werden auch von Beamten des chinesischen Regimes genau beobachtet", heißt es in einem kürzlich erschienenen Bulletin.
Die jüngste Zusammenfassung, mit der Überschrift „Persecution News from China", beschreibt Vorfälle, die sich in neun Provinzen ereignet haben: Eine Frau wurde unter Verwaltungshaft gestellt. Eine weitere wurde zu einem, wie es in der Zusammenfassung heißt, „Brainwashing Centre" gebracht. Eine dritte, sie wurde bei der Arbeit verhaftet, wurde für 15 Tage in ein Internierungslager gebracht.
Die häufigste Anklage gegen sie lautet „sprechen über Falun Gong". Egal, was auch immer gesagt wird: nur ein paar Worte zu diesem Thema auszutauschen, ist ein Verstoß. Unter denjenigen, die sich häufig dieses Verbrechens schuldig gemacht haben, sind einige Toronto-Chinesen, die sich oft im Queen's Park treffen und gerne mit Touristen über die Grundlagen ihres Glaubens und dessen Verfolgung sprechen.
Die chinesische Entscheidung, ein Gespräch über Falun Gong zu einem Vergehen zu machen, offenbart die Hoffnung der Regierungsbeamten. Sie schämen sich so sehr für das, was in dieser schrecklichen Ära der chinesischen Geschichte passiert ist, dass sie hoffen, niemand werde mehr darüber sprechen.
National Post
robert.fulford@utoronto.ca